Gedenkstätte für die in der Shoah ermordeten Juden Österreichs / Memorial to the austrian jews who were murdered in the Shoah

Gedanken und Gedichte

 

KURT MEZEI   1924-1945      

Verfasser des Gedichtes “Judenschicksal”

Die Zwillinge Kurt und Ilse Mezei, 1924 geboren, konnten als jüdische Verfolgte bis 1945 gemeinsam mit ihrer Mutter Margarete in Wien überleben, während ihr Vater 1944 in Auschwitz ermordet worden war. Ilse Mezei wurde im März 1945 im Keller der Kultusgemeinde durch einen Bombentreffer getötet.

Ihren Bruder Kurt holte die SS wenige Stunden vor dem Eintreffen der Rote Armee am 12. April 1945 aus dem Keller des Hauses Förstergasse 7 und erschoss ihn. Die einzige Überlebende der Familie, Margarete Mezei, starb 1993 in Wien.

Die Tagebuchaufzeichnungen Kurt Mezeis, die heute im Archiv des Jüdischen Museums Wien aufbewahrt werden, sind ein erschütternder Bericht über die NS-Ära in Österreich.

 

Judenschicksal

Ich sah heut’ tausend Menschen, verstörten Angesichts
Ich sah heut’ tausend Juden, die wanderten ins Nichts
Im grau des kalten morgens zog die verfemte Schar
Und hinter ihr verblaßte, was einst ihr Leben war.

Sie schritten durch die pforte und wußten: nie zurück!
Sie ließen alles dorten: Vermögen, Geltung, Glück.
Wohin wird man euch führen? Wo endet euer Pfad?
Sie wissen nur das Eine: ihr Ziel heißt Stacheldraht!

Und was dort ihrer wartet ist Elend, Qual und Not,
Entbehrung, Hunger, Seuchen, für viele bittrer Tod.
Ich schaut in ihre Augen mit brüderlichen Blick,
Erwartend tiefsten Jammer in solchem Mißgeschick

Doch statt Verzweiflung sah ich nur ungeheures Mühn
Um Haltung und Beherrschung aus ihren Augen glühn.
Sah heißen Lebenswillen, sah Hoffnung und sah Mut.
Ich sah in manchen Antlitz ein Lächeln, stark und gut.

Da hab ich tief ergriffen, den geist des Volks erkannt
Das, ausgewählt zum Leiden, das leid noch stets bestand.
Das sich aus Not und Elend, Verbannung, fröhn und Haft
Noch immer hat erhoben mit ungebroch’ner Kraft.

Ich sah heut’ tausend menschen, verstörten Angesichts
Und sah im grau des Morgens den
“Strahl des ew ́gen Lichts”.

 

 

 

 

WALTER LINDENBAUM
Verfasser des Gedichtes „Das Lied von Theresienstadt“
11. Dezember 1907 Wien – 20. Februar 1945 KZ Buchenwald

 

Walter Lindenbaum verbrachte seine Jugend in der Leopoldstadt, den 2. Bezirk Wiens.
Seine Gedichte und Zeitungsartikel waren öfters den Thema des kargen Lebens von so vielen Leuten in der Großstadt gewidmet. In Dez. 1933 heiratete er Rachel Liebling.

Nach der Machtübernahme des Nationalsozialistischen Regimes in Österreich, bekam Walter Lindenbaum eine bescheidene Anstellung bei der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, für die er Kommunikationen geschrieben hat. Es war ein karges Leben für Rachel und Walter Lindenbaum. Eine Freude war ihnen noch beschert, die Geburt ihrer Tochter Ruth im August 1938.

April 1943 wurde die Familie ins KZ Theresienstadt deportiert. Dort konnte Lindenbaum noch Texte für das Kabarett schreiben um die Mitgefangenen von deren Leiden abzulenken. Um die Lebensumstände des KZ zu dokumentieren schrieb er Gedichte wie „Das Lied von Theresienstadt“

September 1944 wurde die Familie nach Auschwitz deportiert. Mutter und die 6-jährige Tochter wurden bald danach vergast. Walter Lindenbaum wurde später nach Buchenwald verlegt und verstarb in Februar 1945.

 

DAS LIED VON THERESIENSTADT
Walter Lindenbaum

Wir sind hier 40.000 Juden,
Es waren viel mehr an diesem Ort,
Und die wir nicht nach Polen verluden,
Die trugen wir in Särgen fort.
Und in den Höfen der Kasernen,
Da steh’n wir abends sehnsuchtsbang,
Und blicken zu den ew’gen Sternen
Hinauf und fühlen erst den Zwang.
Die Freiheit wohnt im Sternenraume
Und nicht in den Kasernenblocks,
Und nachts, da flüstern wir im Traume:
Wie lange noch, wie lange noch…
Oh merk dir’s, Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt!

Wir kämpfen um das nackte Leben,
Und jeder Tag bringt neue Not.
Den Stolz den darf es hier nicht geben,
Man bettelt um ein Stückchen Brot.
Früher hätt’ man das nicht machen dürfen:
Die Suppe holen im Blechgeschirr
Und ohne Löffel gierig schlürfen,
Hier heißt es: Friß oder krepier!
Und demaskiert zeigt sich das Elend
Im Antlitz jeder Kreatur,
Verfehlend, quälend, manchmal stehlend,
Denn hier regiert die Ich-Natur.
Oh merk dir’s, Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt!

Und wo wir wohnen, ist’s nicht helle,
Nur Hoffnung leuchtet uns voran,
Hier hatten Pferde ihre Ställe,
Dort schlafen heute 60 Mann.
Die Wangen eingefallen und mager,
Von Sehnsucht wir man hier nicht fett,
So liegt man nachts auf seinem Lager
Und träumt vom Bett im Kavallett.
Der Schmerz, den tapfer man verbissen
Bei Tag, wenn grell die Sonne scheint,
Der hat uns oft das Herz zerrissen
In Nächten, wo man einsam weint.
Oh, merk dir’s, Bruder Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt!

Die Stadt der Kinder und der Greise,
Die einen unsrer Hoffnung Keim,
Die anderen, die entschlafen leise
Und kehren zu den Vätern heim.
Es holt der Tod, der schwarze Ritter,
Ein Kind, es ist ihm einerlei,
Dann geht durch alle anderen Mütter
Ein langgedehnter Schmerzensschrei.
Die Männer, die sonst nichts bedauern,
Die noch so abgehärtet sind,
Sie fühlen im Herzen ein Erschauern,
Ein Schrei der Mutter nach dem Kind.
Oh, merk dir’s Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt!

So leben wir, im “Muster”-Ghetto hausend,
Ein Schicksal hält uns alle fest.
Wir Juden hier, die 40.000
Sind von Millionen noch der Rest.
Wir haben Kummer, haben Sorgen
Und viele Schmerzen haben wir noch,
Wir leben hier von heut auf morgen
Aber wir leben schließlich doch.
Man konnte hier uns vieles rauben,
das Schicksal hat uns hergeführt,
Doch eins behielten wir: den Glauben,
Daß es noch einmal anders wird.
Oh, merk dir’s Bruder, Kamerad,
Das Liedchen von Theresienstadt!

Und wird es einmal anders werden,
Sind Mühsal und Beschwerden aus,
Wird wieder Frieden sein auf Erden,
Dann singe ich mein Lied zu Haus.
Doch will’s das Schicksal anders haben,
Erlebe ich die Freiheit nicht,
Und werde ich auch hier begraben,
Wird weiterleben mein Gedicht.
Und wenn die Jahre dann verrinnen,
Für euch voll sorgenlosen Glücks,
Könnt ihr euch einmal dann besinnen
Und denkt an jene Zeit zurück,
Dann sing’, oh Bruder, Kamerad,
Dies mein Liedchen von Theresienstadt.